Meine Recherche über Textilien, Kunst und das Buch - Worn von Sofi Thanhauser und warum ich wieder mit Textilien arbeite
- 6. Juni 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Apr.

Die Rückkehr zu einem künstlerischen Erbe
Die Rückkehr zu Textilien in meiner künstlerischen Praxis war kein plötzlicher Entschluss, sondern ein langsames, organisches Wiederfinden eines roten Fadens, den ich nie ganz aus den Augen verloren habe. Schon früh prägten Stoffe und ihre Verarbeitung mein Leben und beeinflussten die Richtung meines künstlerischen Werdegangs.
Textilien und Handwerk als Fundament meiner Ausbildung
Nach dem Schulabschluss war es mein Ziel, Modedesignerin zu werden. Doch ich entschied mich, zuerst das Handwerk zu erlernen. Während meiner Ausbildung zur Herrenschneiderin bei der Maßschneiderei Schmidt im Sauerland erkannte ich, wie viel Präzision, Geduld und Wissen in jedem Kleidungsstück steckt. Diese Ausbildung bildete das Fundament für meine spätere künstlerische Laufbahn, die mich über Stationen in Dortmund und an der Kunstakademie Düsseldorf zur Städelschule in Frankfurt führte.
Doch dort, im Kontext der freien Kunst, verschwanden die Textilien plötzlich aus meinem Blickfeld. Niemand nähte oder webte. Also legte ich die Nadel aus der Hand – dachte ich und widmete mich der Zeichnung und der Malerei. Die textile Kunst schien vorerst ein Kapitel der Vergangenheit.
Erst 2015, als ich die britische Designerin Felicity Brown in mein Atelier in Frankfurt einlud, öffnete sich dieser kreative Raum erneut. Unsere Begegnung in Dubai und das Arbeiten an der Schneiderpuppe in Tashkeel inspirierten mich zutiefst. Felicitys Arbeitsweise weckte in mir eine Vielzahl von Erinnerungen und gab mir den Mut, die Nadel wieder in die Hand zu nehmen. Ab diesem Moment konnte ich nicht mehr aufhören, die textile Handarbeit zu erforschen und ihre Prozesse selbst auszuprobieren.
Faszinierende Entdeckungen: Textilien als kulturelle, materielle und soziologische Dimension
Seitdem hat sich meine künstlerische Recherche um Fasern, Textilien und ihre kulturellen, materiellen und soziologischen Dimensionen vertieft. Meine Sammlung wuchs stetig: Webrahmen, Handspindeln, Nadeln, Garne und Stoffe fanden ihren Platz. Workshops, Seminare und unzählige Praxisversuche ermöglichten es mir, tief in das Handwerkeinzutauchen und ein ganz neues Verständnis für die Textilkunst zu entwickeln.
Ein wegweisendes Werk für mein heutiges Verständnis war das Buch Worn von Sofie Thanhauser. Ihre detaillierte Darstellung der Geschichte der Kleidung zeigt auf, warum wir so wenig über textile Produktion wissen – obwohl wir täglich in Kleidung und mit Stoffen leben. Thanhauser beleuchtet die historische Abwertung der textilen Arbeit und der von Frauen dominierten Produktion, die durch die Einführung der Gilden im 13. Jahrhundert begann. Diese Abwertung führte schließlich dazu, dass Frauen ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und ihre gesellschaftliche Sichtbarkeit verloren.
Die Unsichtbarkeit von Textilkunst und häuslicher Arbeit
Diese historische Entwicklung erklärt auch, warum Textilkunst aus dem Kanon der bildenden Künste gefallen ist. Die häusliche textile Arbeit, die so viele kreative Prozesse umfasste, wurde zunehmend als weniger wertvoll angesehen, während industrielle Produktionen und Design an Bedeutung gewann. Bis heute bleibt die unsichtbare Arbeit der Textilherstellung im Verborgenen.
Der Widerstand und die Weitergabe von Wissen
Trotz der Abwertung dieser Arbeit gab es immer Widerstand. Frauen haben ihr Wissen weitergegeben – oft im Stillen, im Privaten. Dieses gemeinsame Machen, das Handwerk und Wissen über Generationen weitergibt, ist es, was mich heute fasziniert. Dabei finde ich Inspiration sowohl in der Haute Couture als auch in indigenen Praktiken, deren rituellenund kollektiven Bedeutungen für mich von großer Relevanz sind.
Textilien als Ausdruck von Kultur und Identität
Stell dir vor, du sitzt mit einem Backstrap Loom: Ein einfaches Gerät, bei dem dein Körper die Spannung der Kettfäden bestimmt. Deine Bewegungen sind unmittelbar mit dem Material verbunden, jede noch so kleine Veränderung beeinflusst den Stoff. Diese direkte Verbindung zwischen Körper und Material ist eine der faszinierendsten Eigenschaften der textilen Kunst.
Stell dir vor, du verwandelst deine Träume in Muster, wie die Mädchen, die von ihren Großmüttern das Mola-Nähenlernen. Oder du trägst einen Fransenrock, der über 20.000 Jahre lang ein Symbol für Fruchtbarkeit und Leben war.
Textilien und ihre historische Bedeutung
Wären Textilien ebenso gut erhalten geblieben wie Stein oder Metall, und wäre es nicht zu der Abwertung der textilen Erfindungen gekommen. würden wir heute möglicherweise nicht von der „Steinzeit“ sprechen, sondern von der „Schnurzeit“. Die Geschichte der Faser beginnt mit der Schnur – der Erfindung, aus kurzen, losen Fasern ein haltbares Ganzes zu drehen. Das war der Beginn des Verbindens, des Transportierens, des Überlebens. Und auch der Beginn von Kultur.
Das Wissen bewahren: Die Bedeutung der Textilkunst
Heute, in einer Zeit, in der viele Menschen nicht mehr wissen, wie man einen Knopf annäht und das Fach Textil aus den Schulen verschwunden ist, frage ich mich: Können wir es uns wirklich leisten, dieses wertvolle Wissen zu verlieren?
Empfohlene Lektüre
Wenn du mehr über die Geschichte der textilen Arbeit erfahren möchtest, empfehle ich dir zwei wichtige Werke:Sofie Thanhauser: WornElisabeth Wayland Barber: Women's Work – The First 20,000 Years
Beide Bücher bieten wertvolle Einblicke in die Bedeutung der textilen Kultur und regen dazu an, den roten Fadenwieder aufzunehmen und die textile Kunst neu zu entdecken.
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