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Meine Recherche über Textilien, Kunst und das Buch - Worn von Sofi Thanhauser




Ich habe viel Zeit damit verbracht, Textilien, ihr formales Vokabular, ihre manuellen Produktionsprozesse und ihre kulturellen sowie soziologischen Hintergründe besser zu verstehen.

Alles begann 2015 mit einer Einladung an Felicity Brown, in meinem Studio in Frankfurt über ihre Arbeit zu sprechen. Ich traf sie in Dubai und träumte davon, eines Tages mit ihr zusammenarbeiten zu können. Dass dieser Traum wahr geworden ist, erfüllt mich mit großer Dankbarkeit.

Seitdem ich Felicity in Tashkeel an der Schneiderpuppe arbeiten sah und dank ihr die Nadel wieder in die Hand genommen habe, kann ich nicht aufhören, über Textilien zu forschen und ihre Prozesse selbst auszuprobieren. Meine Bibliothek wuchs stetig, ebenso wie meine Sammlung von Werkzeugen: Webrahmen, Handspindeln, Nadeln, Fasern, Garne, Stoffe – und die Zahl der Workshops, an denen ich teilnahm.


Im Rückblick frage ich mich, warum ich Textilien als künstlerisches Material jemals aus den Augen verloren habe. Sie waren es, die mein ursprüngliches Interesse geweckt und meinen Weg geprägt haben. Heute weiß ich, dass ich mich mit ihnen nie wirklich verabschiedet habe – sie haben nur darauf gewartet, wieder in mein Leben zu treten.


Nach der Schule wollte ich Fashion Designerin werden, aber mir war wichtig, zuerst das Handwerk zu lernen. Während meiner Herrenschneiderlehre in der ausgezeichneten Maßschneiderei Schmidt im Sauerland änderte ich jedoch meine Meinung: Ich entschied mich, Kostümbildnerin für Theater und Oper zu werden.

Mein Weg führte mich zunächst nach Dortmund, wo ich als Herrenschneiderin und später als Kostüm- und Bühnenbildassistentin arbeitete. Später, an der Kunstakademie in Düsseldorf, die eine eigene Bühnenbildklasse hat, verlor ich den Bezug zu Textilien als künstlerischem Material. Niemand nähte, webte oder nutzte Textilien für kreative Prozesse – und allmählich gerieten sie auch für mich in Vergessenheit.

 

Heute erscheint mir die Zeit, die ich in meine Recherche investiert habe, als vollkommen gerechtfertigt – besonders nach der Lektüre des fantastischen Buches Worn von Sofie Thanhauser (2022). Darin erzählt sie die Geschichte der Kleidung auf eine Weise, die mir klar gemacht hat, warum wir so wenig über ihre wirtschaftliche und kulturgeschichtliche Bedeutung wissen, obwohl wir in Kleidung leben.

Sie zeigt eindringlich, warum wir die Herstellung dieser essenziellen Güter der Industrie überlassen haben – und welche enormen Konsequenzen das für uns als Menschen und für die Natur hat. Aber nicht nur das. Es erzählt auch die Geschichte von der Entwertung dieser Arbeit und ihrer Erzeugnisse, lange bevor die Maschinen erfunden wurden. Die Gilden, die East Indian Company und Besiedlung der sogenannten Neuen Welt spielen eine bedeutende Rolle.


Ich bin überaus froh, dieses Buch gefunden zu haben! Die Fakten fügen sich nun in einen größeren Zusammenhang ein. Während ich vor einem Jahr noch dachte, ich könne es mir nicht leisten, meine kostbare Zeit mit weniger Wichtigem oder Interessantem zu verbringen, weiß ich heute, dass ich meine Zeit nicht besser hätte investieren können.

Seit der Steinzeit fand textile Produktion ausschließlich zu Hause statt und wurde von Frauen dominiert. Doch mit der Einführung der Gilden im 13. Jahrhundert begann der Niedergang der Wertschätzung dieser Arbeit in der westlichen Welt. Die Gilden argumentierten, dass die textile Heimproduktion minderwertig sei im Vergleich zu den von ihnen vertriebenen Produkten. Mit der Zeit übertrug sich dieses Urteil auf alles, was Frauen herstellten. Schließlich wurde ihnen sogar untersagt, zu Hause zu arbeiten. Schliesslich verloren sie so gut wie alle Rechte und mussten ihre Unabhänigkeit aufgeben.

Thanhauser dokumentiert beeindruckend, dass diese Entwicklung ausgerechnet in der Epoche stattfand, die wir das Zeitalter der Vernunft nennen.

 

Wenn ich diese Beobachtungen mit meinen Erfahrungen in der Kunstwelt kombiniere, überrascht es mich nicht mehr, dass die Textilkunst aus dem Kanon der bildenden Künste gefallen ist. Es überrascht auch nicht, dass wir folglich den häuslichen Bereich als irrelevant erachten und ihm keinen Platz in der Kunst zuschreiben. Dies könnte auch erklären, warum wir Modedesign höher schätzen als die Produktionsmethoden und -mittel – und warum wir den Menschen, die Textilien herstellen, nur selten einen fairen Lohn für diese komplexen Arbeitsprozesse zahlen.


Eine weitere Beobachtung, die ich mache, ist, dass Frauen glücklicherweise nie aufgehört haben, zusammenzuarbeiten und ihr Wissen an die nächste Generation weiterzugeben. Dies geschieht normalerweise außerhalb der allgemeinen Aufmerksamkeit. Die Freude an der Handarbeit, das Gefühl von Zusammengehörigkeit und im Einklang mit Body and Mind - Hand, Herz und Kopf - zu handeln scheinen die treibende Kräfte dahinter zu sein.


Die größte Quelle für meine Forschung zu traditionellen Handwerken finde ich bei den indigenen Völkern, die diese oft rituellen und bedeutungsvollen Methoden zur Herstellung von Kleidung und Schmuck nie aufgegeben haben und der Haute Couture.


Stell dir vor, du benutzt einen Backstrap Loom: Ein einfaches Gerät, bestehend aus Holzstäben und einem Gürtel um deine Hüften. Die Kette wird an einem Baum befestigt, das andere Ende um deine Hüften gebunden. Dein Körper bestimmt die Spannung der Kettfäden, die, je gleichmäßiger sie gehalten wird, ein gleichmäßig gewebtes Stück Stoff entstehen lässt. Dabei ist ein gutes Körpergefühl unerlässlich. Jede noch so kleine Veränderung in deiner Haltung oder Konzentration wird im Stoff aufgezeichnet.

Stell dir vor, deine Großmutter zeigt dir, wenn du acht Jahre alt bist, wie du deine Träume in Muster verwandelst, die später zu den Designs für die Molas werden – eine umgekehrte Applikationstechnik, die in Panama beheimatet ist. Und dann kleidest du dich in deine eigenen Träume!

Stell dir vor, du trägst einen Schal mit langen Fransen und denkst nichts dabei. Frauen tragen Fransen seit der Erfindung des Fadens. Das erste erhaltene Kleidungsstück ist ein Fransenrock. Fransenröcke wurden von Frauen für etwa 20.000 Jahre getragen. Es war ein Kleidungsstück, das weder wärmt noch die Scham bedeckt. Archäologen nehmen an, dass die Fransen Fruchtbarkeit symbolisieren und für Haare und Schamhaare stehen.


Wären Textilien ebenso gut erhalten geblieben wie Steine oder Bronze, und wären die Arbeiten der Frauen zur Zeit der ersten archäologischen Entdeckungen nicht bereits abgewertet worden, würden wir heute vermutlich von der „Schnurzeit“ oder der „String Time“ sprechen. Es dauerte noch Jahrhunderte, bis das Weben erfunden wurde! Das bedeutet jedoch nicht, dass die Frauen, die die meisten textilen Verfahren erfunden haben, wenig intelligent waren. Vielmehr verweist es auf die Komplexität des Konzepts von Kette und Schuss.


Mit dem Wissen, wie eine Schnur gesponnen wird – also wie lange und haltbare Faserstrukturen hergestellt werden können, indem ursprünglich kurze und weniger zusammenhängende Fasern miteinander verdreht werden – wurde das tägliche Leben einfacher. Dinge konnten miteinander verbunden werden, wie Keile aus Stein mit Holzstücken. Schnüre dienten als Transportmittel und, miteinander verknotet, als Netz zum Fischen. Es war eine revolutionäre Erfindung. Die Nadel wurde lange vor dem Faden erfunden. Sie war aus Knochen gefertigt und diente dazu, Leder mit Perlen zu verzieren. Der „Faden" wurde aus Sehnen geschnitten.


Die Geschichte der textilen Erfindungen ist seit dem Zeitalter der Vernunft langsam aus unserem historischen Bewusstsein verschwunden. Heute können viele Eltern keine Knöpfe mehr annähen, und das Fach Textil bzw. Handarbeit wurde in den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland abgeschafft – obwohl es wert gewesen wäre, diese Disziplin zu bewahren. Können wir es uns wirklich leisten, dieses kulturgeschichtlich wertvolle Wissen nicht mehr an kommende Generationen weiterzugegeben?



Wenn du mehr darüber wissen möchtest, empfehle ich das Buch von Elisabeth Wayland Barber.:



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