Kunst Malerei Textil
- 28. Juni
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Die Malerei ist von allen Künsten die freieste. Formen und Farben spielen in der Fläche, bilden ein Gewebe, dessen Vielfalt bis ins Unendliche geht; nicht Grenze, sondern tausendfältige, geknüpfte Beziehungen ist ihrem Wesen gemäß.
Theodor Hetzer: Bild als Bau
"Ich gebe dir das Ende einer goldenen Schnur,
Nur wickle sie zu einem Ball:
Sie wird dich zum Himmelstor hineinführen,
Gebaut in Jerusalems Mauer."
William Blake, Jerusalem
Das, was mich zur Malerei zieht, ist dasselbe, was mich an der textilen Kunst fasziniert: die Suche nach einer allgemeimen, verständlichen Sprache jenseits von Worten - die ich entwickeln kann mit Hilfe meiner Augen, meinem Geist und meinem Herzen und die durch Materialien, durch das Machen mit den Händen und durch Zeit entsteht.
Wenn ich male, strebe ich danach, mein Tun und meine Mittel in Einklang zu bringen. Ich gebe Theodor Hetzer recht, wenn er schreibt: Die Malerei ist von allen Künsten die freieste. Formen und Farben spielen in der Fläche, bilden ein Gewebe, dessen Vielfalt bis ins Unendliche geht; nicht Grenze, sondern tausendfältige, geknüpfte Beziehungen ist ihrem Wesen gemäß.
Malen ist ein stiller, beinahe flüchtiger Akt, in dem sich das Materielle oft aufzulösen scheint. Fläche spielt eine große Rolle. Beim Malen folge ich einem Ausdruck über das Leben, einer Anwesenheit, die sich dem direkten Zugriff entzieht – und in der Erscheinung spürbar wird.
Halte ich hingegen mit Pigmenten durchtränkte Stoffe in den Händen, wird der Umgang konkreter. Die Welt gibt mir Mittel in die Hand mit denen ich gestalten, spinnen, weben, nähen, sticken und applizieren kann. Die textile Arbeit gibt mir eine andere Art von Nähe zum Leben: zur Materie, zur Geschichte, zu den Menschen.

Während meines Kunststudiums und in den folgenden Jahren widmete ich mich intensiv der Malerei, mit besonderem Interesse an der Ölmalerei. Mich faszinierte unter anderem, dass sich die Erscheinungsform der Pigmente während des Malprozesses mit Öl als Bindemittel sich in Bezug auf das Ergebnis nicht verändern, was bei wasserlöslichen Bindemitteln nicht der Fall ist.
Nach meinem Abschluss an der Städelschule zog ich mit meiner Familie nach Madrid und konnte dort in dem Prado die alten Meister studieren – ausgehend von Tizian, den Manet einen „Vater der Malerei “ nannte. Was ich besonders von Tizian, aber auch Rubens und Goya, die sich alle auf Tizian bezogen, lernte, betraf nicht nur den schichtweisen Aufbau der Malerei - die Trennung von Farbe und Form, sondern auch die Alchemie der Farben - das Wesen und die Handhabung des Pigments als kleinster Materialeinheit, seinen ethereischen Charakter, der zwischen Materie und Schwerkraft zu schweben scheint. Bei Tizian werden der Bildträger und das sichtbare Bild eins, die Figuren scheinen aus der Leinwand hervor und versinken wieder in sie hinein. Lässt man sich auf seine Malerei ein, kann man sich zutiefst an Mensch erleben, in der Großartigkeit und der Vergänglichkeit. Tizian erreicht dies durch seine Malerei - durch die Verteilung der Pigmente und ihrer Beziehungen untereinander, und nicht durch die Illustration von Inhalten.
Textil Pigment Schnitt

Seit einigen Jahren widme ich nun auch einen großen Teil meiner Zeit der Recherche, Aneignung und Vermittlung textiler Praktiken – aus Neugier, aber auch, weil ich im Tun große Freude empfinde: eine Ruhe und Konzentration, in der ich mich der Welt und den Menschen verbunden fühle.
Nehme ich Fasern, Fäden und Stoffe in die Hand, ist es, als halte ich diese ethereische Präsenz der Pigmente selbst in der Hand – eine Möglichkeit, die Welt auch durch den Tastsinn zu begreifen. Es ist ein wenig so, als würde ich die Pigmente direkt in die Hand nehmen und damit auf der Fläche (und im Raum) arbeiten.
Textile Handarbeit ist weit mehr als ein handwerklicher Vorgang. Wie bei jeder Kunstform können ihre Produkte Bilderfindungen sein und abstrakte Inhalte vermitteln. In jedem Fall sind sie ein stilles, aber kraftvolles Kapitel unserer Menschheitsgeschichte. Die Autorinnen dieser Geschichte sind Frauen – Frauen, die oft im Privaten und Häuslichen wirkten und über Generationen hinweg Wissen geschaffen, bewahrt und weitergegeben haben. Sie verfeinerten Techniken, vernetzten sich, unterhielten ihre Familien und gestalteten unser Leben mit liebevoller Kreativität.
Sie arbeiteten mit dem, was ihnen die Natur zur Verfügung stellte und über die Zeiten hinweg untersuchten sie die inhärenten Möglichkeiten zur Gänze. Angefangen hat es zum Beispiel mit kleinen Knochen, die mit wenigen Eingriffen zur Nadel wurden; Flachs würde erst zur Kordel transformiert, dann wurde mit den feineren Fäden gewebt, viel später auch geklöppelt; aus Pflanzen, kleinen Tieren, Erden und Steinen würden Pigmente gewonnen. Die Auflistungen der Erscheinungsformen innerhalb der Textilkunst, zu der ich das Fasermaterial subsumiere, sind unzählig.
Wenn wir uns umschauen, erkennen wir überall Spuren einer jahrtausendealten Kulturpraxis, die sich in jedem Winkel der Welt entwickelt hat. In jeder Technik, in jedem Material schwingt Geschichte mit. Und was auf den ersten Blick unscheinbar wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als angewandtes Weltwissen.

Wie in jeder künstlerischen Gattung existieren spezifische Grundbedingungen, auf die ich als Künstlerin eingehe und reagiere. Bald treffe ich mich mit Felicity, um uns genau über diese Grundbedingungen auszutauschen. Ich freue mich darauf!
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