NETZWERKEN – Werkstattgespräche & Ausstellung
Die Idee kommt beim Sprechen
nach Kleist
(Über das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Reden)
Was passiert, wenn wir Reden nicht nur als Mittel zum Austausch, sondern als Werkzeug zum Denken begreifen? Wenn wir Machen nicht nur als Produktion, sondern als Erkenntnisprozess verstehen? Genau an dieser Schnittstelle bewegen sich die Werkstattgespräche. Sie kombinieren Artist Talk und Vortrag mit einer Einladung zum Mitmachen, und schaffen so einen offenen Denk- und Handlungsraum, einen Raum zum Netzwerken.
Vor diesem Hintergrund luden der Studiospace und der Frankfurter Kranz - Netzwerk kulturschaffender Frauen in Frankfurt - vom 14. bis 16. November 2025 zu der Veranstaltungsreihe NETZWERKEN ein. Die Werkstattgespräche knüpften an die frühere dialogische Ausstellungsreihe „“ (2016–2023) sowie an das partizipative Format MACHEN an. Diesmal standen die Künstlerinnen selbst im Mittelpunkt – im Gespräch miteinander und im praktischen wie theoretischen Austausch mit Gästen. Sie machten ihre künstlerischen Methoden erfahrbar und verhandelten Fragen nach Teilhabe, kreativer Anteilnahme und der Bedeutung von Netzwerken. Die Werkstattgespräche bildeten den Rahmen für die Kurzzeitausstellung am 15. November 2025.
Christina Kral (Frankfurt/M) & Geske Slater Johannsen (Frankfurt/M)
14. November 2025
Christina Kral lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Sie studierte Kommunikationsdesign an der Merz Akademie Stuttgart und erwarb einen MFA in European Media an der University of Portsmouth, England. Ihre Arbeit wurde mit internationalen Residenzen, unter anderem bei Eyebeam in New York und Gasworks in London, sowie einem Pollock-Krasner Foundation Grant ausgezeichnet. In ihrer Praxis verbindet sie Malerei, Installation und Assemblage. Ausgangspunkt ist ein offener, prozessorientierter Umgang mit Material, in dem Entscheidungen fortlaufend neu verhandelt werden. Kral versteht Malerei als Dialog mit dem Entstehenden – als eine Form der Orientierung im Ungewissen. Dabei folgt sie dem Prinzip „digging where you stand“: mit dem arbeiten, was da ist, und von dort aus weitergehen.
Geske Slater-Johannsen lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Sie studierte an der Königlichen Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen und an der Städelschule Hochschule für Bildende Künste in Frankfurtam Main. In der Zeichnung und in der Malerei bewegt sich die Künstlerin mit den fundamentalen Mitteln Farbe, Linie und Fläche über den Bildträger. Es ist eine sich aus dem Arbeitsprozess bildende Suche nach Bildgebäuden, bei der ein Bild das nächste entstehen lässt – „I believe I’m building pictures“. Für die Malerin sind sowohl Ausdruck als auch Umsetzung für die Qualität der Klangerlebnisse im Bild maßgeblich.„Bei der Auswahl kommt es nicht so sehr darauf an, das Richtige zu wählen, sondern vielmehr auf die Energie, Ernsthaftigkeit und das Pathos mit der man wählt“
Søren Kierkegaard
Susan Donath (Dresden) & Eva Weingärtner (Frankfurt/M)
15. November 2025
Susan Donath lebt und arbeitet in Dresden. Sie studierte an der Hochschule für Bildende Künste Dresden bei Eberhard Bosslet. In ihrer Arbeit setzt sie sich mit Sepulkralkultur – Toten- und Sterbekultur – auseinander, die sich in Installationen, Skulpturen und ortsspezifischen Projekten spiegelt. Von 2008 bis 2024 pflegte sie eine deutsch-tschechische Grabanlage auf dem Friedhof Střekov in Ústí nad Labem, Tschechische Republik als dauerhaftes Kunstwerk.
Eva Weingärtner lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Weingärtners Schwerpunkt ist Performance. Dabei verwendet sie vornehmlich Video, aber auch Fotografie oder Text als mediale Ausdrucksformen. Für sie ist Performance eine Haltung, eine bestimmte Konzentration in der Handlung und ein Bewusstsein über Präsenz. Vom anfänglich kammerspielartigen Aufführungen über Videoperformances, in denen einzig ihr Gesicht zu sehen ist und neueren Arbeiten, die den Körper als Material im Video, aber auch live thematisieren – Eva Weingärtner geht immer von sich selbst aus: von der intimen Beziehung zum eigenen Ich, aber auch von der Umwelt, die diese Beziehung beeinflusst. Der tiefe Einblick eröffnet den Betrachter:innen eine Möglichkeit zur Identifikation. Eva Weingärtner war Mitbetreiberin von Atelier Orbit24 in Frankfurt, ein Ort für Bildende Kunst und Performance, von 2018 bis 2023.
Thyra Schmidt (Düsseldorf) & Vroni Schwegler (Frankfurt/M)
16. November 2025
Thyra Schmidt lebt und arbeitet in Düsseldorf. Sie studierte an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und an der Kunstakademie Düsseldorf. Ihre Arbeit wurde mit Stipendien und internationalen Arbeitsaufenthalten gefördert. Die Künstlerin erforscht ausgehend von selbstverfassten Texten den Einsatz von Sprache als bild- und raumerzeugendes Element. In stetigem Perspektivenwechsel beschreibt sie dabei diverse zwischenmenschliche Zustände, um gesellschaftliche Erfahrungen widerspiegeln zu können. Projektbezogen nutzt sie verschiedene audiovisuelle Medien und Drucktechniken und entwickelt Installationen für Innen- und Außenräume.
Vroni Schwegler lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Sie hat von 1992 bis 1995 an der Städelschule, Hochschule für Bildende Künste, Frankfurt am Main, in der Klasse von Hermann Nitsch studiert. Ihre künstlerische Praxis widmet sie fast ausschließlich dem Stillleben, einem Genre dessen Traditionslinien sie malend, zeichnend und radierend nachspürt und dessen Grenzen sie ebenso behutsam wie beharrlich zu erweitern sucht.


NETZWERKEN
ein Text von Sonja Müller
PROLOG
Ich sitze im Zug und denke über die Veranstaltungen im Studiospace Lange Straße nach. Über die Idee, eine Ausstellung zu konzipieren mit Kunstwerken, die sich begegnen wie zwei Personen im Zugabteil. Wie zwei sich fremde Menschen, die sich gegenüber sitzen für eine begrenzte Zeit. Zwei Menschen, die sich nicht kennen und sich auf dieser Fahrt doch merkwürdig nahekommen können.
Meine Damen und Herren, wir erreichen unseren nächsten Halt, Ulm, Ulm Hauptbahnhof. Ihre nächsten Umsteigemöglichkeiten: Regionalbahn nach Merklingen, ICE nach Stuttgart Hauptbahnhof am selben Bahnsteig gegenüber. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts.
Menschen tun manchmal sehr intime Dinge im Zug oder geben Persönliches von sich preis. Die Vorliebe für selbstgerührtes Hafermüsli oder das schnell gekaufte belegte Brötchen auf dem Weg zum Zug. Oder Filme gucken, durch Tiktok scrollen, Exceltabellen bearbeiten, mit dem Chef telefonieren (überhaupt: telefonieren!), einschlafen…
All das, oftmals ohne jegliche Interaktion.
Schönen guten Abend, wir begrüßen alle neu zugestiegenen Gäste auf unserem Weg nach Berlin Hauptbahnhof.
Es ist spät.
NETZWERKEN
Interaktion ist meines Erachtens ein passendes Wort, ein schönes Wort, um zu beschreiben, was in einer Ausstellung (oder in diesem Fall: Gegenüberstellung) von künstlerischen Arbeiten geschieht.
Dieser Text ist der Versuch, drei Werkstattgespräche mit sechs Künstlerinnen und vielen Gästen, drei Tage NETZWERKEN atmosphärisch einzufangen.
Der erste Abend. Christina Kral und Geske Slater Johannsen, beide aus Frankfurt, sind heute zu Gast. Geske spricht vor/von ihren Arbeiten von Bildgebäuden, vom Bilder bauen. Abstrakte Malerei, die Konstruktion einer Komposition. Im Anschluss sitzen wir alle um einen großen Tisch, es entfaltet sich ein dialogisches Gespräch zwischen beiden Künstlerinnen. Worte finden für das, was man normalerweise auf der Leinwand ausdrückt. Stichworte: Das Bekannte trifft auf das Unbekannte und erzeugt Erstaunen. Von Tatsachen, die auf der Leinwand passieren, ist die Rede und von neuen Ausdrucksformen, die nicht geplant waren. Und wieder geht es um Worte, um den Versuch, einen Ausdruck zu finden, der das, was auf dem Bild entsteht, passend beschreibt.
Steuern, schöpfen, experimentieren. Der Flow, der Moment, wenn ein Bild ein Wesen hat, wenn ein Bild Autonomie atmet, wenn das Bild fliegt.
Am nächsten Tag kommen Susan Donath und Eva Weingärtner zum Werkstattgespräch. Alle Künstlerinnen, die in diesen drei Tagen miteinander zu zweit in Dialog treten, kannten sich vorher noch nicht. Es geht um Performance und um das (neue) performative Element in Susan Donaths Werk, die eigentlich Bildhauerin ist (Schneewittchen beerdigen. Richtig beerdigen.). Fragen tauchen auf. Eine „ganz freie“ Performance – gibt es das eigentlich? Woher weiß man, wann eine Performance zu Ende ist? Wir spannen den Bogen zum gestrigen Gespräch: Woher weiß man, wann ein Gemälde fertig ist?
Der dritte Tag. Heute sind Thyra Schmidt und Vroni Schwegler zu Gast. „Mein Jahr hat elf Monate und beginnt im September“ – mit diesen Worten beginnt Vroni ihre Präsentation und spricht von einem Lagerzustand als Rückzugsort für ihre Bilder. Thyra hat für die Texte ihrer Arbeit eine künstlich erzeugte KI-Stimme gewählt.
Wir sprechen über die hemmungslose Notwendigkeit, Kunst zu machen und darüber, dass es durchaus Parallelen zwischen Kunst und Liebe gibt. Zum Schluss fallen Begriffe wie verweben und weiterspinnen, die vielleicht besonders schön beschreiben, worum es Carolin mit der Veranstaltung NETZWERKEN geht.
Und wie an den anderen beiden Tagen auch folgt ein praktischer Teil. Wir gestalten Postkarten. Ich schneide Eulen aus einem Baumwollstoff aus, trenne das Motiv vom Hintergrund. Das, was Vroni als Befreiung bezeichnet hat. Was passiert, wenn wir das Reden nicht nur als Mittel zum Austausch, sondern als Werkzeug zum Denken begreifen? fragt Carolin in ihrem Text.
AUSKLANG
Heute schreibe ich diesen Text und lasse das letzte Wochenende Revue passieren. Was ist mir davon im Gedächtnis geblieben? Verschmelzen die drei Werkstattgespräche, mit etwas Abstand, zu einer inhaltlich fokussierten Veranstaltung? Ich sammle gedanklich Momente, die mir viel gegeben haben: zwei Künstlerinnen, die ihre Werke gegenseitig präsentieren. Zwei Künstlerinnen, die im Dialog miteinander ihre Malerei immer tiefer reflektieren. Gäste, die am nächsten Tag wiederkommen, und am dritten auch. Fragen. Staunen. Toffifee. Ich suche meine Postkarten mit den Eulen und adressiere sie an Carolin Kropff, Studiospace.
Sonja Müller, November 2025

Mit freundlicher Unterstützung vom Kulturamt Frankfurt.

















