DAG & Dirk Krecker
Am 20. Mai 2022 präsentierte der STUDIOSPACE Lange Straße 31 Werke der Künstler DAG und Dirk Krecker.
HAAR DROCK KAFFEE
DAG und Dirk Krecker greifen in ihren Arbeiten auf Codes zurück, die sich auf das Fassen von Zukünftigem beziehen. Ihre Strategien divergieren zwischen Reaktualisierung und Neudefinition inhaltlicher, formaler, materieller, medialer und formaler Bezüge im Verhältnis zur Variabilität zeitlicher Perspektiven und der mit ihnen verbundenen Deutungs- und Interpretationsmodi.
DAG (Dag Przybilla) hat an der Humboldt Universität und Kunsthochschule Weißensee studiert und betreibt das Ausstellungsprojekt GLUE in Berlin.
Dirk Krecker hat an der HfG Offenbach und der Städelschule Frankfurt am Main studiert und war Meisterschüler von Thomas Bayrle.
Die Vermessung der Welt und das Wagnis des Abenteuers
DAG & Dirk Krecker
von Angelica Horn
Unter dem Titel „HAAR DROCK KAFFEE“ stehen sich in dieser Einabendausstellung die Präsentationen zweier Männer gegenüber, die bislang in ihrem künstlerischen Leben bereits miteinander zu tun hatte und die beide mit dem Thema des Rasters und der Codierung von Flächen und Wirklichkeiten beschäftigt waren und sind – DAG (Dag Przybilla) etwa mit seinen Bildern, mit Wandarbeiten in Nachtclubs, mit gestalteten Tischtennisschlägern, Dirk Krecker zum Beispiel mit Schreibmaschinenbildern, Aceton-Frottagen und Sound-/Videoinstallationen. Es gibt eine Art verwandten Geist, doch mit unterschiedlicher Intention: Steht auf der einen Seite die leichte Ironie einer Subversion, so auf der anderen Seite die Markanz einer solitären Behauptung.
DAG zeigt nun fünf Bilder (o.T., 50 x 50 cm, Mischtechnik auf Leinwand, 2022) auf einer eigenhändigen Wandzeichnung, die schon ein Prinzip offenbart, nämlich das Raster, in das andere Formen eingezeichnet sind, geometrisch selbst, spielerisch, fremd und zugleich jederzeit zugehörig. Alles findet auf einer Ebene statt. So liegen auch die Bilder auf derselben Ebene, selbst das freigestellte auf dem kurzen Wandstück über Eck. Die Ebene ist die Codierung des Rasters, im einzelnen Bild wie auf der Wand. Das Raster ist das Gerüst. Es ist das Quadrat, wie wir es z.B. vom Rechenkästchenpapier kennen, das prinzipiell ins Unendliche hinein vervielfältigt werden kann, wobei die Kante des einen Kästchens jeweils die Kante des nächsten Kästchens bildet, oder wo durch das Zeichnen von senkrechten und waagrechten Linien in einem regelmäßigen Abstand ein solches Raster entsteht. Der Code des Rasters ist selbst doppelcodiert. In das Raster des Rechenkästchens kann so allerlei eingetragen werden kann, zu ernsthaften Zwecken oder zum vergnüglichen Spiel. In das Raster der Wandzeichnung, die in verschiedenen Farbtönen gehalten ist und in sich leichte Abweichungen von der strengen Form aufweist, sind etwa schräge Striche, Kreise, auch nicht streng Geometrisches eingefügt. Nach diesem Prinzip verfährt auch die Gestaltung der einzelnen Bilder, wobei nun Ausmalungen und Übermalungen hinzukommen und Überzeichnungen von Gemaltem.
Auf einem türkis- roten oder einem dunkelblau- weißen (die Farbangaben sind ungefähr) Bild ergeben sich waagrechte streifenförmige „Codes“ – „Nachrichten“, deren Inhalt wir nicht zu entschlüsseln vermögen. Die Streifen scheinen verschiebbar zu sein und die Phantasie des Betrachters macht dies möglich. Bei näherem Hinzutreten werden die einzelnen Kästchen in ihrer liebevollen Bearbeitung wichtiger, und es entsteht der Eindruck, es müsse Spaß machen, so zu arbeiten, wie die Betrachtung Spaß macht. Bei anderen Bildern wird die zugrundeliegende Rasterung anders transformiert und umcodiert. Da wird die Verstärkung des vertikal-horizontalen System mit verschiedener Farbigkeit von Rot und Blau und Grün etwa versehen, so dass sich etwas Wolkenartiges ergibt oder Patterns von Rechtecken einer jeweils vorherrschenden Farbe erscheinen. Auf dem freihängenden Bild ist der Charakter des Spielerischen am deutlichsten hervorgehoben – hier geht es um die Freude an dem einzelnen Kästchen, am Bunten in der freien Gesamtanordnung.
Die Codierung als Grundlage bleibt jeweils bestehen, aber sie wird in ihrer Benutzung und Verwendung jeweils neu auch unterlaufen durch das Prinzip des Malerischen und Farbigen, das als solches keine Codierung kennt, sondern sich dieser letztlich immer auch entzieht. Ist auch das Raster ganz einfach, so scheint der Variation keine Grenzen gesetzt.
Auf der anderen Seite steht dieser Bildinstallation von DAG eine Installation von Dirk Krecker gegenüber. Auf einem breiten Band, eine Art Paneel, sind größere quadratische Abbildungen nebeneinander montiert, dunkel das Ganze mit leuchtenden Lichtern und Farben. Spacy geht es hier zu, spacy und aufregend, vielleicht gar erregend. Die Abbildungen zeigen die Pixelstruktur (Codierung) des Bildschirms. Es geht um das Weltall und um die menschliche Anwesenheit in diesem, um Flugobjekte und Raumfahrt. Zwei Flächen sind rein schwarz gehalten, so dass sich eine Rhythmisierung und Hervorhebung ergibt. Das Band der Bilder läuft über Eck auf den Durchgang und DAGs Bilder zu.
Die Bilder mögen an Science-Fiction-Filme erinnern, die mit einer hohen Verdichtung und Intensität visueller Reize und emotionaler Qualitäten arbeiten. Die Codierung ist eine der Isolierung der einzelnen Sachen, Körper, Figuren von ihrer Umgebung, von dem Kontext, in denen sie auftreten, oder auch die Ästhetik des fließenden Übergangs, der Verschmelzung. Hier ist die Sache ruhiger gehalten und damit wird sie bewußt der Betrachtung zugeführt. Es herrscht eine Art Neutralität gegenüber diesen künstlichen Welten – oder sind es reale?
Oben drüber hängt eine Reihe kleinerer Collagen, gleichsam altmodisch im Vergleich zu den Bildschirmabbildungen unten, mit Material aus alten Büchern, wie der Künstler erzählt. Noch deutlicher geht es hier um Inhalte, ohne dass diese eindeutig festgestellt oder in eine eindeutig feststellbare Form zu bringen wären. Wie es das Wesen der Collage ist, sind verschiedene Bedeutungsbezüge der kombinierten Dinge und Materialien möglich. Wie in der anderen Arbeit ist das ästhetische Prinzip dasjenige der Separation und der Kontinuierlichkeit des Bildes.
Wir sehen zum Beispiel vier Raumfahrer vor einem Sternenhimmel, eine Person mit einem farbigen Gesicht, die anderen in schwarz-weiß. Oder wir sehen vier schwebende Soldaten in einem kosmischen Raum mit zwei Abbildungen eines Brand- oder Explosionsereignisses in einer irdischen Landschaft unter dem Viertel eines Planeten mit einer Art roten Sonne am Rande. Es werden keine Geschichten erzählt, sondern Bedeutungsbezüge ermöglicht bzw. festgehalten. Dass keine Geschichten erzählt werden, das macht das Bild zum Objekt der Betrachtung und zum Objekt der Betrachtung seines Inhalts oder seiner Inhalte.
Die Eroberung des Weltalls und die reale Anwesenheit von Menschen ist kein fiktionales Spiel mehr, es ist Wirklichkeit geworden, bis hin zu touristischen Ausflügen. Künstliche Städte, menschliche Ansiedlungen im Weltraum werden gedacht. Kriege im und vom Weltraum aus ebenfalls. Das lädt zur Betrachtung ein: über das Eroberungsstreben des Menschen, dessen Grenzen, dessen Humanität. Die ersten Weltraumfahrer berichteten von dem Wunder der Erde und deren Fragilität. Die Collagen von Dirk Krecker demonstrieren das Thema von Weite und Grenze, von Gewalt und menschlichem Gesicht, von Wunder und Unbegreifbarkeit, von Technologie und Leben, von Abenteuer und menschlichem Wagnis.
Beide künstlerischen Haltungen ermöglichen eine spezifische Aktualisierung zu unseren Lebenswelten hin – sei es die Vermessung, die Vereinheitlichung, die Verschönerung der Welt, sei es das Erkenntnis-, Eroberungs-, Besitzstreben des Menschen. Frühe Globen versahen die Erde mit Längen- und Breitengraden, für Land- und Seekarten wurde die Welt vermessen, Architekturen beruhen auf Waag- und Senkrechten, Fassaden, Gebäude und Straßenpflastern sind gerastet, der Din-Normen sind viele. Berggipfel, unbekannte Landschaften, die Weiten des Meeres und des Weltalls, die Tiefen der Erde und der Ozeane wurden und werden aus wirtschaftlichen, militärischen und wissenschaftlichen Interessen erobert und erforscht. Vom Weltraum aus wird die Erde weiter bis auf den Millimeter vermessen und beobachtet. Im System der Codierung ist der Code das übergeordnete System. Der Code besteht selbst aus Codierungen, Individualisierung und Entindividualisierung, Identitätsbildungen und -zerstörungen, Herrschaft und Unterordnung. Theorien und Philosophien versuchen dies zu fassen. Politiken und Gesellschaften arbeiten mit diesen Strukturen. Die Ambivalenzen der Realität werden durch solche Aktualisierungen des Künstlerischen offensichtlich – in der Kunst sind sie zu einem Ausgleich gebracht, nicht aber in der Realität.
© Angelica Horn, Frankfurt am Main 2022
Mit freundlicher Unterstützung des Kulturamt Frankfurt.